Als die Geissler kamen

Ein weiterer Beitrag zur Pest aus der Lohner-Chronik (Band I) von 1349. Er geht auch auf die so genannten Geisslerzüge ein: Gruppen von Menschen, die sich öffentlich geisselten, «um der herannahenden oder bereits grassierende Seuche zu entgehen, die als Strafe Gottes für die Sünden der Menschen betrachtet wurde», wie im Historischen Lexikon Bayerns steht. Das Phänomen begann in Österreich im Spätsommer und Herbst 1348. Innerhalb eines Jahres, bis zum Oktober 1349, seien überall im Reich Geissler aufgetreten, steht weiter.

In diesem Jahr wüthete durch ganz Europa eine furchtbare Pest, der schwarze Tod genannt. Diese Seuche kam im Späthjahr 1349 nach Bern und in unsere Gegend. Im September starben in Bern täglich bei 60 und um Weihnachten, wo sie am heftigsten war, bis 120 Personen. Auf verschiedene Weise wurde dieser Seuche entgegen gewirkt. Die einten glaubten durch innbrünstige Andacht, tiefe Trauer und in Sak und Asche gehüllt, den Zorn Gottes zu besänftigen, welches Mittel besonders die nun entstandene Sekte der sogenannten Geissler gewählt, die schaarenweise Städte und Länder durchzogen, bis zum Gürtel entblösst, unter Absingung der Psalmen und unter Anrufung Gottes sich bis aufs Blut geisselten. Vorn und hinten auf den Kleidern und auf dem Hut trugen sie das Kreuz. Andere hingegen überliessen sich den Leidenschaften, Lüsten und Ausschweifungen aller Arten auf die unbändigste Weise. Die Klügsten suchten den Gleichmuth zu erhalten und in Ruhe und ohne Kummer ihren Geschäften abzuwarten. Hier in Thun waren, mündlichen Ueberlieferungen zu Folge, Leute den ganzen Tag auf unserm Kirchhofe beschäftigt, Gruben zu machen. Des Nachts wurden die Todten auf Karren, deren Räder mit Lappen umwunden waren, aus den Häusern, vor welchen Lichtlein glimten, abgeholt, in Säke gestekt und oft 12 bis 15 in eine Grube gelegt. Die Säfte der schnell dahingestorbenen und aufeinander gehäuften Menschenkörper flossen aus dem nordöstlichen und westlichen Theile des Kirchhofes durch die Mauern einestheils in die unten liegenden Gärten anderntheils in den Weg, der um den Kirchhof geht. Am heftigsten in unserer Gegend wüthete die Pest im Kander- und im Gürbenthale.

Bild: Staatsbibliothek München

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