Jahn: Zwerge am Hohgant

In diesem zweiten Beitrag über Albert Jahns «Alterthümer» im Berner Oberland geht es um unterirdische Gänge in Gwatt und Strättligen, sagenhafte Städte hoch über dem Thunersee, Zwerge in den Höhlen des «Seefeld»-Karstgebiets und «Heiden». Immer wieder die Heiden! Nebst den Zwergen sind sie ein wiederkehrendes Motiv in den Sagen und Geschichten, die Albert Jahn im Berner Oberland gesammelt hat. Manchmal vermischen sich die Beiden auch, so dass von «Troglodyten» und «Bergkelten», die in Höhlen hausen, die Rede ist.

Noch einmal der Hinweis: Ich habe nur ganz wenige Textstellen ausgewählt, über Funde und Sagen, die ich so nicht gekannt habe oder die obskur und rätselhaft sind. Hier gehts zum ersten Teil.

Unterirdische Gänge, die beim Gwatt vorkommen sollen, mögen aus sehr alten Zeiten herrühren. Gewiß ist es, daß oberhalb der Gegend zwischen Schorren und Gwatt, hoch oben an der Strätliger-Hügelreihe, eine alte Mine unter dem Namen „ das Bergknappenloch» vorkommt. Ein am Gwatt aufgefundenes Fragment einer Matrize zu einem Thonbildwerk in Relief zeigt in allegorischer Darstellung eine Knabengestalt mit allerlei Attributen und Nebenfiguren, und erinnert, wenn gleich nicht selbst antik, doch durch die treffliche Arbeit an antike Bildnerei.

In der Häusergruppe im Ghey, zwischen Einigen und Spiez, befindet sich ein uraltes Haus, mit sehr auffälligem, starken Steinbau, welches das Heidenhaus heißt. Hier mündet ein unterirdischer Gang aus, der nach bestimmten Anzeigen vom Strätligen-Thurm hinweg unter der Erde durchläuft. Unfern vom Ghey liegt in einem Eichwäldchen am Seeufer ein ansehnlicher Erdhügel, der allem Anschein nach ein Grabhügel ist.

Bemerkenswerth ist seeaufwärts von Därligen der sogenannte Teufels-Karr- weg oder Fahrweg, eine wunderlich quer Hinanlaufende Felsenschicht, mit zwei tiefen Einschnitten, gleich Radegeleisen. Der Teufel, meldet die Sage, mit Pfaffen und Nonnen zu Jnterlaken im freundlichsten Einvernehmen, habe die einen und die andern oft in der Kutsche hier durch auf den Gipfel des Berges, oder auf die Suleck geführt und droben blocksber- gische Tänze und Feste gehalten. Nach dieser ziemlich moder- nisirten Sage scheint die Lokalität eine heidnisch-alterthümliche Bedeutung gehabt zu haben; denn die Vorstellung des Teufels, als Repräsentanten des Heidenthums, knüpfte sich im Mittelalter vorzüglich an auffallende und große Kunstwerke der heidnischen Zeit, aber auch an Naturwerke, welche im heidnischen Alterthum Gegenstand eines religiösen Kults gewesen waren.

Merkwürdige Ueberreste keltisch-helvetischer Kultur entdeckte man 1840 bei dem hoch oberhalb Oberhofen gelegenen Bergdörfchen Ningolzwyl ( urk. 1318 UinKolLmIo), als ein Kalkstein-Fündling abgesprengt wurde, der ganz isolirt und ohne Spur von Bearbeitung durch Menschenhand in der Größe eines kleinen Hauses, an einem Bergabhang seitwärts von, Dorfe aufgelagert war. Man fand nämlich auf einem Absatz desselben, B tief unter der Erde, womit hier die Oberfläche des Felsens bedeckt war, folgende zerstreut liegende bronzene Waffenstücke: zwei Spitzen von Wurfspießen verschiedener Form und Größe, zwei Dolche und neun Streitmeißel, oder nach einer spätern, vollständigeren und richtigeren Angabe: die Spitze eines Wurfspießes, einen Dolch, zwei Spitzen von Wurfpfeilen und zwölf oder gar vierzehn in Größe und Form verschiedenartige Streitmeißel, unter diesen einen noch im Guß rohen und unverarbeiteten. Was von Ornamenten an diesen Fundstücken vorkommt, besteht in bunzirtem Strichwerk von spitzwinkligen Parallelen. Nachgehends, 1846, am Fundort angestellte Nachgrabungen haben ermittelt, daß rückwärts von dem abgesprengten erratischen Blocke, auf seinem noch übriggebliebenen Theile, unter der denselben bedeckenden Erde, in gleicher Tiefe eine Schicht von kohlen- und aschenhaltiger Erde liegt, die mit Resten von altkeltischer Töpferwaare und mit Steinbild-Schnitzwerk angefüllt ist. Noch weiter rückwärts liegt ein längliches Hügelchen, welches Menschenhand verräth, und seitwärts am Abhang unterhalb des Dorfes ist der Boden terrassenförmig abgestuft. Allem Anschein nach befand sich hier schon in der althelvetischen Zeit ein Bergdorf, und der Fundort ist höchst wahrscheinlich ein Opferplatz gewesen. Nach Beobachtungen, die wir theils schon angeführt haben, theils noch erwähnen werden, pflegte nämlich der Kelte Felsblöcke sowohl selbst zu verehren, als auch solche sich zu Kultstätten auszuersehen. Sodann ist es bekannt, daß Gegenstände, die beim Opfern gebraucht worden waren, nach alterthümlicher Sitte dem menschlichen Gebrauche entzogen und mit Erde oder mit Steinen bedeckt wurden. Da nun obge- nannte Waffenstücke mit senen Feuerspuren, Gefäßscherben und Steinbildchen in gleicher Tiefe lagen und, wie es der Augenschein zeigte, vergraben worden waren; so ist es klar, daß die Bronzen Votivgegenstände sind und die hinzukommenden Feuerspuren, Gefäßscherbcn und Steinbildchen aus Vorgängen von Opfern herrühren. Aus dem einzigen im Guß rohen Streitmeißel läßt sich schon deßwegen nicht auf eine Gieß- stätte schließen, weil die große Verschiedenheit der übrigen Bronzen dagegen streitet.

Hinter Nalligen am Berg, in der sogenannten Einöde, ist nach der Sage in der Vorzeit eine Stadt, Namens Roll, gestanden , aber durch einen Bergsturz verschüttet worden. Nach einer Angabe hat man hier, wie zu Hilterfingen, alte Geräthe und Waffen in einer Tiefe von 20^ im See entdeckt; nach einer andern Angabe sind hier wenigstens eiserne Werkzeuge unter einem Felsblock am Seeufer gefunden worden. Allein, wie wir von sicherer Hand vernommen, beide Angaben beruhen auf der unkritischen Annahme eines lügenhaft übertriebenen Berichtes vom Auffinden einiger ganz modernen Geräthe. Dennoch ist das Faktum eines hier stattgefundenen Bergsturzes unläugbar, und die Stelle des Bergsturzes ist, obgleich größten- theils mit Tannwald überwachsen, an dem wilden Steingeröll noch deutlich erkennbar. Auch das von der Sage überlieferte Faktum der durch den Bergsturz bewirkten Verschüttung eines Ortes ist kaum zu bezweifeln.

Keltisch ist auch der Name des Hohgants, des Gebirgsstockes, welcher das Habkernthal hinten schließt; denn sein Hauptbestandtheil ist das mehrerwähnte keltische Gant, das ist: Fels. Im Thal selbst finden wir merkwürdige alterthümliche Sagen und wirkliche Alterthumsspuren. Bei St. Niklausen, wo der Lombach aus der Thalschlucht kommt, hat vor Alters eine Kapelle gestanden. In Habchern selbst spricht man viel von sogenannten Heidenhäusern ( man vergleiche, was über diesen Namen im Frühern verschiedentlich angemerkt ist), und in der Bohlseiten-Bänert heißt eine Lokalität mit gleichnamigen zerstreuten Häusern auf der Burg. Im Aellgäu, einem großen, durch den wilden Hohgant, den Riedergrat, das Augstmatthorn und die Bohlegg begrenzten Thalkessel, in welchem die Emme entspringt, und welcher reich ist an herrlichen Alpen, hat nach der Sage vor Zeiten eine große Stadt gestanden. Ein durch Menschenhand aufgeworfener Erdwall von beträchtlichem Umfang wird für ein Ueberrest derselben gehalten; auch soll man von dorther bisweilen noch Wagen fahren hören — ein Zug, der auch in Sagen von alterthüm- lichen Lokalitäten im Unterland hier und da vorkommt. Obschon nun die Sagen, welche im Einzelnen vom Aellgäu gehen, verhältnißmäßig neu sind (eine bezieht sich auf die einstigen Fehden mit den Entlibuchern), so haben wir dennoch hier unzweifelhafte Spuren einer Ansiedlung keltisch-helvetischer Bergbewohner *). In der Bohlseiten-Bäuert mag auf der Burg ein keltisch-helvetisches, später ein römisch-helvetisches Bergkastell gewesen und in einer Beziehung zur Ansiedlung im *) Wie nämlich die Sagen von alten, längst verschwundenen Städten ini Unterland sich auf römische oder römisch-helvetische Ansiedlungen beziehen, so deuten im Gcbirgsland dergleichen Sagen auf Wohnplätze kelto-helveti- scher Alpenbcwohncr, die man sich jedoch in der römisch-helvetischen Zeit keineswegs als unbezwungen, wenn gleich mit den Römern anfangs unvermischt, zu denken hat. In der Völkerwanderung aber scheint das Oberland für Römer und Römer-Helveticr ein allgemeiner Zufluchtsort und sogar ein Bollwerk geworden zu sein, wie es nrit Rhätien der Fall gewesen.

Beachtenswerth ist weiter eine ähnliche Sage, wonach auch auf Seefeld, einer schönen Alp zuhinterst am Beatenberg, am südöstlichen Abhang der Scheibe, hoch über dem Habkern- und Justithal, eine Stadt gestanden hat. Diese Alp konnte besonders einer troglodytischen Bergbevölkerung zum Aufenthalt gedient haben, da sich auf derselben Höhlen befinden, von welchen besonders eine, merkwürdig durch ihre Tropfsteinbildungen, einen sehr großen Umfang hat und ein wahres Höhlenlabyrinth ist. Mit jener Sage hängt die Bezeichnung eines Naturphänomens zusammen. Wenn nämlich der Beatenbach besonders stark angeschwollen sich in den Thunersee ergießt, hört man von dorther ein paar Stunden weit ein unterirdisches Getöse mit heftigen Detonationen, und dieses Phänomen heißt weit und breit „die Musterung auf Seefeld.» Viel wissen die ältern Leute in Habkern von Zwerglein zu erzählen, die hier vor Zeiten auf Felsspitzen, in Höhlen, Felsklüften und Wäldern gehaust haben und zum Theil noch Hausen sollen Die Thalleute denken sich die Zwerge in Menschengestalt, nur in sehr verkleinertem Maßstabe, aber als mit übermenschlichen Kräften begabte Wesen (sie brauchen wenig oder nichts zu essen, und wenn sie Feuer anzünden, bleibt ihnen das Holz unversehrt u. s. w.). Auch erscheinen dieselben in der Sage meist als gutartige, den Menschen, zumal den frommen, wohlwollende Wesen, als „fromme Leutlein»; sie nahen dem gutdenkenden Alpenbewohner als Gastfreunde, ersetzen ihm reichlich das *) Im Mondmilchloch, einer dem Pfarrhause in Habkern fast gegenüber im Härder liegenden, am Eingang hochgewölbtcn, tiefer hinein sich verengenden, endlich senkrecht in den Berg abfallenden Höhle, wohin aus dem Kalkstein Mondmilch trieft, befindet sich eine Abtheilung, welche die „Zwerglistube» heißt; auch soll es dort, so oft man hinkommt, stets hübsch aufgeräumt sein. Ebenso sollen auch im sogenannten Unterloch, nahe beim Hohgant, Zwerge gewohnt haben und noch wohne»; denn wenn man Etwas in die Höhle hinunterfallen lasse, z. B. Steine, so werde es sogleich weggeräumt.

Bild: DALL-E 2

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