Ich finde es schade, dass Sagen und Geschichten aus alter Zeit verloren gehen. Manchmal oder sogar meistens hat man schlicht keinen Sinn für Solches.
Die Moderne fordert uns. Die Arbeit. Das Voranschreiten, das Unaufhörliche, das die Globalisierung und Technologisierung mit sich gebracht haben. Oft ist man einfach wie auf Schienen unterwegs im Leben. Die Autobahn, die Strassen an sich, die drängelnden Autos, die unaufhörlich einem Ziel entgegenfahren, sind ein gutes Symbol für unsere Zeit und unser Mindset. Oft etwas engstirnig, oft zu bedacht auf den Mainstream und was andere denken, oft zu sehr auf der Jagd nach Geld und kurzfristigen Vergnügen.
In einer solchen Welt bleibt kaum Platz für die Besinnung, die Ruhe, die Geschichten, die Natur und Landschaft, die alten Zeiten. Und auch für Sagen und Erzählungen über Vorkommnisse, die geheimnisumwittert sind. Auch deshalb gibt es Arcanum Helvetia.
Und deshalb auch eine weitere Ladung Sagen aus dem Berner Oberland. Im dritten Teil der Serie über Albert Jahns «Alterthümer» gehen wir weiter hinauf ins Oberland. Diesmal berichtet uns der Berner Geschichtsforscher des 19. Jahrhunderts von eigentümlichen Felsen und Höhlen im Stockhorngebiet, von «geognostischen Merkwürdigkeiten» weiter oben im Simmental und von Elfentanzplätzen über Grindelwald.
Vielleicht ein wichtiger Hinweis: Die Texte sind unkorrigiert und direkt aus dem Dokument kopiert worden. Das heisst, Ortsnamen sind manchmal falsch geschrieben. Zum Beispiel Voltigen statt Boltigen.
Auf der Spitze des Stockhorns, welche sehr klein und eben ist, befindet sich ein graues Fclsstück, welches nicht ansteht, sondern vielmehr mit Fleiß hinaufgestellt scheint. Ist diese Erscheinung antiquarisch, nicht geologisch zu erklären, so könnte man an die außerordentlichen AnstrengungenAnsiedlung kelto-helvetischer Bergbewohner oder zurückgedrängter Nömer-Helvetier scheint sodann die westlich vom Stock- Horngipfel gelegene schöne Wal- oder Wallalp den Namen erhalten zu haben. Ihre tiefen Stalaktiten- und Mondmilchhöhlen konnten einer troglodytischen Bergbevölkerung ebensowohl als Flüchtlingen eine sichere Wohnstätte gewähren.
Hinter dem Dorfe Weißenburg liegen überdieß, tief in einer Schlucht, die Trümmer einer namenlosen Nachbarburg, die, nach einer sehr zweifelhaften Sage, Weißen au hieß. Auf dieser Ruine ist unlängst ein bronzenes, beilartiges Alterthums- des druidisch – keltischen Steindiensts zur Errichtung von Steinaltären u. dgl. denken, nnd i» der That kann die Stockhornkuppe bei ihrer auffallend konischen Gestalt, sowohl im altkeltischen als im römisch-keltischen Religionswesen, eine besondere Bedeutung gewonnen haben, da ausgezeichnetere Höhen im Alterthum überhaupt zu Kultorten ausgesucht zu werden pflegten.
Im Jahr 1840 fand man auf einer Alp oberhalb Voltigen beim Ausroden einer großen Baumwurzel unter derselben einen 5″ langen, bronzenen Streitmeißel mit Schaftgraten auf den Seiten. Alterthümlich bemerkenöwerth ist eine merkwürdige, tiefe Höhle auf der Wallalp oder Wallopalp, welche an dem gegen die Freiburgergrenze wild ansteigenden Wallopberg liegt. Die Höhle ist voll der sonderbarsten Stalaktiten, und es befindet sich darin eine, wie es scheint, natürlich ausgehöhlte Kanzel. Deßwegen und weil in der volksthümlichen Vorstellung die Höhle als ein Werk und ein Aufenthalt der zwergenhaften Bergmännchen gilt, welche in der hiesigen Volkssprache Toggeli, das ist: kleine Leutchen, heißen, wird dieselbe dieToggeli-Kil- chen ( Toggeli-Kirche) genannt.*›) Die volkstümliche Vorstellung der sogenannten Toggeli ist aber nichts Anderes, als ein Rest des keltischen, auch auf die Germanen übergegangenen Glaubens an untergeordnete Gottheiten, welchen die Berg- und Steinwelt mit ihren Wundern als Dominium zugewiesen wurde (s. Pfaffenloch bei Rümligen).
Schließlich ist noch Einiges über das Das Fermelthälchen zu bemerken. Bei Matten, einem Dörfchen unweit der Mündung desselben, steht mitten unter den hölzernen Häusern „das steinig Haus», ein uraltes, gewaltiges Steingebäude, dessen Bauart eine andere Bestimmung verräth, als einem Landmanne zur Wohnung zu dienen. Nach einer ver- hältnißmäßig jungen Sage wird behauptet: nach Zerstörung der Burg Mannenberg im Jahr 1349 habe sich der Herr derselben nach St. Stephan zurückgezogen und diese tüchtige, standesgemäße Wohnung erbaut. Allein eine heidnisch-alter- thümliche Bedeutsamkeit des Baues läßt eine ältere Sage vermuthen, welche meldet, die Kirche von St. Stephan, welche, im Mittelalter eine Kapelle des h. Stephanus (urk. 1453 onpelln 8^ 8t6plign>), die älteste des ganzen Geländes gewesen ist und eine Glocke mit der Jahreszahl 1023 oder 1030 hat, habe ursprünglich hier gebaut werden sollen; allein von unsichtbarer gewaltiger Hand sei jede Nacht das Tags zuvor aufgeführte Mauerwerk wieder zerstört worden, worauf man, durch das Stehenbleiben von zwei im Joch freigelassenen Ochsen geleitet, die Kirche an ihrem jetzigen Platze erbaut habe. Dieser Sage liegt ohne Zweifel die Vorstellung zu Grunde, daß jene Lokalität, als dem heidnischen Götzendienst geweiht oder doch *) Eine geognostische Merkwürdigkeit dieses Seitenthals scheint auch ein antiquarisches Interesse zu gewähren, wie wir dieß von andern geogno- stischen Merkwürdigkeiten schon mehrfach bemerkt haben. Es liegt nämlich dort, unterhalb der Höhe des Trütiisberges, ein isolirter Kalksteinfels, der sich, einem Thurme gleich, unmittelbar aus der Erde zwischen einzelnen Felstrümmcrn erhebt, die auf der Weide zerstreut sind. Dieser Fels heißt nun das Kirchlein oder auf der Pfaff. Kann erstere Benennung nur als eine vergleichende Bezeichnung angesehen werden, so scheint dagegen letztere eine^Erinnerung an heidnischen Kult zu erhalten, dessen Gegenstand dieser höchst auffallende Fels im keltisch-helvetischen Stein- dienst leicht gewesen sein könnte.
Die Kirche von Frutigen ( 1228 bratendes st), welche jedenfalls bis 1558 ein Filial von Aeschi gewesen, soll eine Stiftung des neuburgundischen Königs, Rudolf H. von Strätligen, vom Jahr 933 sein. Ist es aber richtig, daß mit einem thurmhohen Felsstück, welches über Frutigen am Bergabhang der Niesenkette sich befindet und die Thalkirche heißt, die Vorstellung des Teufels in Verbindung gebracht wird, so haben wir hier nicht bloß eine geognostische, sondern auch eine heid- nisch-alterthümliche Merkwürdigkeit. Denn da die Idee des Teufels, als Repräsentanten des Heidenthums, theils an auffallende und große Kunstwerke der heidnischen Zeit, theils an Naturwerke sich anknüpfte, welche im Heidenthum eine religiöse Verehrung genossen hatten, so hat es den Anschein, als ob jener Fels im keltischen Steindienst Gegenstand einer besondern Verehrung gewesen sei.*)
Andere leiten den Namen von dem keltischen 61 langn, das ist: Bergspitze, ab, wofür der Umstand spricht, daß dasjenige Alpgelände des Thales, welches gegen das Schwarzhorn ansteigt, ganz im Besondern den Namen Grindel trägt. Wenn wir die in Obigem angeführten Sagen von uraltem Bewohntsein des Thales und die hievon erwähnten Spuren auf keltisch- und römisch-helvetisches Alterthum bezogen haben, so unterstützt uns hierin das Vorkommen von Sagen und Vorstellungen, die im keltischen und römisch-keltischen Religionswesen ihren Grund zu haben scheinen. Hierher gehört namentlich die sagenhafte Vorstellung, nach welcher gewisse Stellen auf den Alpen, wo das Gras in regelmäßigen, oft sehr weiten Kreisen, einen oder anderthalb Schuh breit, wie abgesengt oder niedergetreten ist, als Herentanzplätze angesehen werden. Man mag nun diese Erscheinungen natürlich erklären, wie man will (die natürlichste ist diejenige, welche in jenen Kreisen Spuren alter Dorfet- oder Bergdorf-Tänze sieht): jene volksthümliche Vorstellung, die übrigens auch in andern Alpengegenden vorkommt, stellt sich desto gewisser als ein Rest des keltischen Glaubens an Elfen heraus, da sie sonst nur in altkeltischen Ländern sich vorfindet, z. B. in Schottland, wo solche Kreise b’nirv Oereles heißen. Als ein solcher Herentanzplatz oder Simeler, nach der Volkssprache, gilt im Grindelwald eine Stelle aus Rinderfeld an der Holzmattalp; in der Mitte des Platzes, heißt es, habe man eine Erhöhung gesehen, auf welche die Heren ihr Licht gestellt hätten. Da nun aber der Glaube an Elfen mit demjenigen an Bergmännchen oder Zwerge offenbar zusammenhängt und hier in einer solchen Ausbildung erscheint, wie es bei den germanischen Völkern, die ebenfalls an Elfen glaubten, nicht der Fall gewesen ist; so wird man um so eher genöthigt, den hier stark ausgebildeten Glauben an Bergmännchen nicht sowohl aus dem germanischen, als vielmehr ebenfalls aus dem keltischen Alterthum abzuleiten.
Wahrscheinlich läuft hier Einiges mit unter, was der Kultur und Religion der Bergkelten selbst eigen war und von den Menschen auf die untergeordneten Gottheiten der Bergmännchen übergetragen wurde. Auch seien, heißt es, seit Abtragung der letzten Menschenwohnungen an der Gasse die freundlichen Bergmännchen auf immer weggezogen. ‹) Nach Roberts: Hin llgmllriull ^ntiquities (Wiener Jahrb., Bd. 5, S. 39) tanzen die Zwerge, die er als zurückgedrängte Heiden ansteht, ebenfalls im Mondlicht. **) Die Vorstellung von Heren (Elfen) knüpft fich hier auch an andere Lokalitäten, z. B. an den sogenannten Herensee, welcher nordöstlich vom Faulhorn in einem Thälchen liegt. Seine Untiefen sollen, wie diejenigen des benachbarten Hagelsee’s, bösartige Geister einschließen, die je zuweilen aus ihren Behältnissen entschlüpfen und dann mit erschreckendem Getöse durch die Abgründe jagend grause Ungewitt er Herbeitreiben. Dieß erinnert nun lebhaft an den beim irischen Landvolk erhaltenen altkeltischen Glauben, daß die Seelen der unruhig Abgeschiedenen im Ungewitter einherbrausen. Hierher gehört auch die abergläubische Vorstellung und Sage von der sogenannten Ro ch elmore, einem röchelnden, das ist lärmenden und gespenstigen Mutterschwcin, welches auf den Alpen oftmals mit fürchterlichem Geräusch und deutlichem Grunzen durch die Lüfte ziehe, die Schweine in Schrecken und Verwirrung setze, oder selbst fühlbar den Leuten um die Beine fahre und ste anfeinde. Es scheint nämlich diese Vorstellung nichts anderes zu sein, als eine dunkle Ueberlieferung von der im keltischen Glauben zu einem Religionssymbol erhobenen Muttersau, welche im Christenthum zu einem Popanz geworden geworden ist.
Bild: DALL-E 2